REZENSION LICHTBESEN AUS BLEI
 
"Buchstaben sind für Stephan Krass Monaden und Nomaden, die ein promiskes Leben führen und das, was wir Sinn nennen, gleichsam spielerisch zusammenfügen. Anhand von Goethe, Eichendorff, Benn und Heine, führt Krass vor, wie man Gedichte mit Hilfe einfacher Rechenmethoden neu erfinden und dadurch umdeuten und kommentieren kann ... Krass' Unterfangen besticht durch Resultate, die dem mechanischen Prinzip Geist abtrotzen. Mit seinen algebraischen Transkriptionen torpediert er den Wort-Kosmos der Begriffe und Ideen von innen heraus, als wollte er auf seine Art an jener Dekonstruktion teilhaben, die keinen Stein auf dem anderen lässt und dafür ausschließlich Materialien benutzt, die Akteur und Opfer in einem sind ... Stünde nicht über alldem ein subtiler Spracharchitekt, liefe diese Rechenmethode ins Leere... Stephan Krass betätigt sich zwar als anagrammatischer und alphanumerischer Wortmechaniker, doch in Wirklichkeit ist er ein dadaistischer Aphoristiker, der sich Regeln auferlegt, um die Phantasie an die Kandare zu nehmen. Wie alle Dadaisten nimmt er die Spielerei gerade da äußert ernst, wo sie allem Sinnfälligen den Boden entzieht. Am Ende offenbaren all diese gewichteten Wörter ihr Unwägbares."
 
Karl Heinz Ott, Zahlenmystik und Ironie, Neue Zürcher Zeitung, 02. 02. 2005